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Wanderschäferei entlang der Etsch: LIFEstockProtect Kompetenzzentrum auf Exkursion

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Kostner BenjaminVitangeli Valeria
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Wanderschäferei entlang der Etsch: LIFEstockProtect Kompetenzzentrum auf Exkursion
Die Schafsherde an der Etsch - © Vitangeli Valeria, Eurac Research

Vor kurzem besuchte der Hirtenlehrgang der Berufsschule für Landwirtschaft und Hauswirtschaft Salern, die auch Kompetenzzentrum von LIFEstockProtect ist, das Hirtenpaar Sandra und Daniel und ihr, zumindest für Südtirol, ganz besonderes Projekt. Thema und Inhalt des Schulungstags war die gezielte Weideführung und Dammpflege an den Ufern der Etsch. Das mittel- bis langfristige Ziel ist es, die Berufsfigur der Hirt:innen zu fördern und weiterzuentwickeln, indem ihre Rolle nicht nur im wirtschaftlich-sozialen, sondern auch im ökologischen Bereich aufgewertet wird.

Daniel und Sandra betreiben seit Anfang des Jahres und in Koordination mit dem Amt für Wildbachverbauung eine Art Wanderschäferei entlang der Etschdämme zwischen Salurn und Lana. Die ermöglicht eine ganzjährig geführte Weidehaltung, die zwar durch die ständige Anwesenheit des Hirten mit seiner Herde beschwerlicher ist, es aber ermöglicht, die natürliche Vegetation auch im Winter zu nutzen, sowie die Hüte- und Herdenschutzhunde das ganze Jahr über und nicht nur auf den Sommerweiden arbeiten zu lassen. Tatsächlich spielen die Hunde eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, die Herde zu führen und vor großen Beutegreifern zu schützen. Die erste Aufgabe wird einem Border Collie und vier Schäferhunden der Rasse Lessinia und Lagorai anvertraut. Es handelt sich hier um energische und brillante Rassen, die die Herde ständig umkreisen, um sicherzustellen, dass jedes Tier in der Nähe bleibt. Der Schutz des Viehs hingegen ist vier Sila-Schäferhunden und einem Maremmen-Abruzzesen-Schäferhund anvertraut, die nur dann in Alarmbereitschaft versetzt werden, wenn sie eine Gefahr wahrnehmen. Die restliche Zeit halten sie sich im Hintergrund. Die Zusammenarbeit zwischen Hüte- und Herdenschutzhunden und ihren Besitzern ist für das Herdenmanagement von grundlegender Bedeutung: Die Anwesenheit des Hundes und der Hirtin sowie andere Präventionsmethoden sind in der Tat der beste Weg, um mit großen Beutegreifern zu koexistieren (EU Kommission, 2022).

alt© Vitangeli Valeria, Eurac Research
Hirte mit Schafen

Die Weidewirtschaft wird jedoch oft als ein Beruf angesehen, der mehr mit der Tradition als mit einem echten Beruf in Verbindung gebracht wird. Über den Hirt:innenlehrgang möchte die Fachschule Salern dieses Bild angehen und ändern. Dafür will sie spezifische Fähigkeiten vermitteln, die für ein nachhaltiges Weidemanagement grundlegend sind. Die geführte Weidehaltung hat nicht nur am Etschdamm viele Vorteile. Ihre Prinzipien können auf alle Weidegebiete ausgeweitet werden: Durch eine sorgfältige Planung können sowohl Weidetiere als auch die Umwelt profitieren. So wurde unter anderem gezeigt, wie die Abwechslung zwischen den verfügbaren Pflanzenarten den Appetit der Tiere anregen und sie dazu bringen kann, nicht nur das zu fressen, was sie mögen, sondern auch das, was einfach zur Verfügung steht, selbst wenn es nicht besonders schmeckt(Meuret et al., 2015). Gleichzeitig bringt diese Art der Beweidung Vorteile für die Biodiversität mit sich, vor allem hinsichtlich der Erhaltung offener Lebensräume, insbesondere wenn sie Teil einer Konstellation heterogener Lebensräume sind (Fraser et al., 2022). Die typischen Almlandschaften sind beispielsweise oft durch ein hohes Vorkommen von Borstgrasweiden (Nardion strictae) gekennzeichnet. Wenn diese nicht ordnungsgemäß bewirtschaftet werden, gehen sie in monotone Artengesellschaften über. Das liegt daran, dass die prägende Pflanze dieser Pflanzengesellschaft, das Borstgras (Nardus stricta), in den frühen Vegetationsstadien schmackhaft ist, während es später hinaus abhärtet und daher eher gemieden wird. Die Erhaltung einer artenreichen Borstgrasweide wurde von der Habitat-Richtlinie als Lebensraum von gemeinschaftlichem Interesse eingestuft (Code 6230).

alt© Vitangeli Valeria, Eurac Research
Gruppe an der Etsch

Das Vordringen von Sträuchern und Bäumen und die damit einhergehende Schließung offener Landschaften ist eine erhebliche Bedrohung für die biologische Vielfalt, die sich aufgrund der Aufgabe von Flächen immer weiter ausbreitet. Nach Burns et al. (2021) sind Vogelpopulationen der EU seit den 1980er Jahren um 20 % zurückgegangen, insbesondere bei Arten, die an extensiv bewirtschaftete landwirtschaftliche Flächen und Wiesen grenzen. Eine immense Bandbreite von Arten ist von der Erhaltung dieser Lebensräume abhängig, von der großen Anzahl an Vogelarten der offenen und halboffenen Landschaften wie z.B. dem Neuntöter (Lanus collurio) oder dem Wiedehopf (Upupa epops) über Insekten wie dem Apollofalter (Parnassius apollo) bis hin zu Reptilien wie der Staudeneidechse (Lacerta agilis). Der Schäfer trägt mit seiner traditionellen Tätigkeit seit Jahrtausenden zur Erhaltung dieser Lebensräume bei (Putzer et al., 2016), die heute Teil der Südtiroler (und nicht nur der Südtiroler) Kulturlandschaft sind und eine grundlegende und kaum ersetzbare Rolle bei der Erhaltung von Lebensräumen und Arten von gemeinschaftlicher Bedeutung spielen.
Durch das Treffen mit Sandra und Daniel wurden die Teilnehmer:innen der Exkursion schließlich dazu angeregt, über die Figur des Schäfers als Erbringer von Ökosystemdienstleistungen zu reflektieren. Es handelt sich schließlich um Dienstleistungen, welche die Natur zum Nutzen des Menschen erbringt. Die Herde, die auch Schafe und Ziegen umfasst, ergänzt die üblichen Arbeiten des Amts für Wildbachverbauung, das sich aus diesem Grund entschlossen hat, die Initiative zu unterstützen. Durch die Anwesenheit von Ziegen in der Herde wird nicht nur die Höhe des Grases ausgeglichen, ohne dass auf mechanische Mittel zurückgegriffen werden muss, sondern es können auch invasive Neophyten wie die Robinie (Robinia pseudoacacia) eingedämmt werden. Sie sind eine invasive Neophytenart, die zu den 40 am stärksten invasiven holzigen Angiospermen der Welt gehört (Richardson et al., 2011). Ziegen beschädigen, indem sie sie fressen, deren Rinde und schwächen ihre Ausbreitung: Eine kontinuierliche Beweidung über die Jahre hinweg kann daher zu einem Rückgang dieser Arten führen (Stumpf 2002; Zehm 2004 und 2008). Außerdem verdichtet die Herde durch das Zertrampeln den Böschungsboden und macht ihn weniger anfällig für Erosion. Die Beibehaltung einer geringen Beweidung begünstigt dagegen die Entstehung von Uferlebensräumen, da Sträucher und dichtes Schilfdickicht (sofern vorhanden) aufgelockert werden. Seinerseits kann dies wiederum die Ansiedlung von für diese Lebensräume typischen Arten fördern. Solche “ nature-based solutions” werden in einigen europäischen Ländern bereits für nachhaltiges Umweltmanagement anerkannt und belohnt. So werden in Bayern Maßnahmen von Landwirt:innen und Züchter:innen zur Erhaltung, Verbesserung und Schaffung von ökologisch wertvollen Lebensräumen gefördert. In Sachsen hingegen, wird die Beweidung der Ufer mit Herden anderen Maßnahmen, wie der Pflege mit technischen Geräten, per Gesetz vorgezogen. In Österreich wird eine Prämie für die nachhaltige Bewirtschaftung von Almen gewährt; in Südtirol gibt es ebenfalls Prämien für die Landschaftspflege. Hier besteht jedoch noch einiges an Potenzial z.B. hinsichtlich einer Vertiefung des Vertragsnaturschutzes. Dies könnte die Rolle der Hirt:innen auch auf ökonomischer Ebene deutlich aufwerten, da es deren Leistungen im Sinne des Natur- und Landschaftsschutzes unterstreichen würde. Damit diese Maßnahmen jedoch eine signifikante Auswirkung auf die biologische Vielfalt haben können, ist es unerlässlich, dass Hirt:innen im Hinblick auf das Hüten der Herde und die gezielte Weideführung angemessen geschult werden, sowohl durch theoretische Kurse als auch durch praktische Erfahrungen, die mit anderen Hirt:innen geteilt werden - um Tradition weiterzugeben und sie zu erneuern.

Kostner Benjamin

Kostner Benjamin

Benjamin Kostner hat sein Studium an der Universität für Bodenkultur Wien (BoKu) absolviert. Er ist nun Teil der Forschungsgruppe Human-Environmental Interactions am Institut für Regionalentwicklung von Eurac Research. Der Fokus seiner Forschungsbereiche liegt auf der Förderung und des Managements der Koexistenz zwischen der menschlichen Landnutzung und der Umwelt. Neben einer besonderen Passion für die Ornithologie, liegt ein besonderes Augenmerk seiner Arbeit momentan auf der Rückkehr der großen Beutegreifer und der Vielzahl an Möglichkeiten und Herausforderungen, die diese mit sich bringt.

Vitangeli Valeria

Vitangeli Valeria

Valeria Vitangeli hat ihr Masterstudium in Local Development an der Universität von Padua abgeschlossen. Sie ist nun Teil der Forschungsgruppe Human-Environmental Interactions am Institut für Regionalentwicklung von Eurac Research.

Citation

https://doi.org/10.57708/budyvx7xjt_ms8klccdojcw
Kostner, B., & Vitangeli, V. La pastorizia nomade fa scuola: il competence center di LifestockProtect in escursione. https://doi.org/10.57708/BUDYVX7XJT_MS8KLCCDOJCW

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